Lieblingsbuch: Juror Dr. Robert Arsenschek liebt Don DeLillos ‘Der Engel Esmeralda’
Ein Lieblingsbuch? Gerade fasziniert mich Don DeLillos „Der Engel Esmeralda“. Neun Erzählungen, erschienen zwischen 1979 und 2011. Der Autor großer Amerika-Romane („Unterwelt“) kann es auch kurz, zeigt die postmoderne Welt wie unter einem Brennglas.
Nur drei, vier Sätze braucht er, um den Kern seiner Figuren herauszuschälen. Eine Kostprobe? Bitte:
„Er hieß Leo Zhelezniak. Er hatte sein halbes Leben gebraucht, bis er in den Namen hineinpasste. Fand er, dass in dem Namen ein Widerhall lag, eine Fremdheit, eine Geschichte, die er sich nie verdienen konnte? … Vielleicht würde er diese Distanz immer spüren, egal was für ein Name auf den Plastikkarten in seiner Brieftasche stand.“
Da ist sie, die Verlorenheit des Leo Zhelezniak, mit wenigen Strichen gemalt in der Erzählung „Die Hungerleiderin“ von 2011.
Zhelezniak ist eine typische DeLillo-Figur. Die Welt, sie erscheint ihm unwirklich und bedrohlich. Er flieht vor ihr, indem er seine Tage in New Yorker Kinos zubringt. Denn: Welche „Monde der Unruhe und Melancholie“ auch über ihm schweben: „An diesem Ort bestand die Chance, dass sich alles in Luft auflöste.“ Als Zhelezniak eine Frau trifft, die offenbar genau dasselbe tut wie er, folgt er ihr mit einem Hauch von Hoffnung. Doch der Sprung zurück in die Wirklichkeit gelingt nicht.
„Der Engel Esmeralda“ ist eine grandiose Sammlung: Fein ausgesucht, virtuos übersetzt von Frank Heibert, der DeLillos wuchtige, dichte Sprache fast ohne Transportschwund ins Deutsche überträgt. Der Band bündelt den ganzen DeLillo-Kosmos. Eine Welt ohne Gewissheiten.
In „Baader-Meinhof“ (2002) sucht eine Frau Vertrautheit in den RAF-Bildern des Malers Gerhard Richter – und brockt sich eine desaströse Begegnung mit einem Kerl aus der Galerie ein. Liebe geht bei DeLillo schief. Die stärkste Bindung findet man zwischen Freunden wie den Studenten Todd und Robby, die sich in „Mitternacht in Dostojewski“ (2009) eine absurde Scheinwelt zusammenspinnen. Ein Trost: Sie können kommunizieren. Immerhin.