26. MÜNCHNER KG-WETTBEWERB // EINGEREICHTE KURZGESCHICHTEN
Timon Wallianos
Auf dem Hügel brennt ein Auto
»In der Karosserie«
Kevin und ich lehnen am Seitenstreifen der Autobahn, die Arme auf die Leitplanke gestützt, und blicken in die Böschung. Wir kommen des häufigeren dazu, sinnlos in der Gegend rumzustehen. Er schnippt seine Zigarette von sich.
»Stinkt nach Scheiße!«, grimmig blickt er auf die Trampelpfade zwischen den Büschen. »Könnte man abbrennen. Im beschissenen Australien würd’ die Kippe reichen, aber hier müssen wir wohl nachhelfen.«
Ich seh ihn an. Taugt mir manchmal gar nicht, wie der Typ redet. Ständig betont er, es gäbe Dinge zu tun. Irgendwann möchte man doch nach Hause kommen. Ich seh zum Wagen.
Wir haben die Kühlerhaube nach oben geklappt, um einen Notfall zu simulieren. Das ewige Warten auf die nächste Raststättenausfahrt ging uns auf den Sack.
»Da sind dann auch wieder nur so Leute«, hatte Kevin gesagt. War schon klar, was er damit sagen wollte. Also macht man einen auf Unfall oder Autoschaden, und hat ein wenig seine Ruhe. Kevins Entschuldigung ging immer auf ein Ist-doch-nur-kurz hinaus. ‘Kurz’, ist dabei völlig relativ. Wenn er in zweiter Reihe parkt, macht er den Warnblinker an und geht auch gern mal ‘ne Runde spazieren.
»Hast du was von Daniel gehört?« – »Nein!«, wäre die Antwort, aber ich tu mal so, als würde ich nachschaun, obs denn Neuigkeiten gäbe. Ich schüttel den Kopf.
»Heute wohl nicht so viel reden, oder?« Kevin hat diese Angewohnheit, die Ruhe zu durchbrechen. Zwar ist er derjenige, der dafür sorgt, dass man, wie hier, an einer Leitplanke chillt, doch die Ruhe, die man erwarten könnte, ließ er nicht zu.
»Nein, ich weiß nicht so recht. … Lass uns einfach weiterfahren«
»Is bestimmt immer noch bei seiner Perle«, er knallt die Kühlerhaube runter, zieht eine Schachtel Zichten aus der Hemdtasche und wirft sie mir zu. Ich zünde ihm eine an, während er den Motor startet und über den Seitenspiegel den Verkehr betrachtet.
»Der Typ verbringt viel zu viel Zeit mit der! … Ohne Witz.«
Ich hielt ihm schon, meines Empfindens nach, viel zu lange seine angesteckte Kippe hin, als er sie nahm. Aber ich will mich jetzt auch nicht beklagen. Kam mir nur die letzten Tage so vor: Kevin macht seine Sache, was auch immer das sein soll. Dabei nimmt er keinerlei Rücksicht auf die Leute um sich rum. Mit der Kippe ist es das Gleiche: Er will einige Sekunden sparen, während er sich zurück in den Verkehr eingliedert und lässt deshalb mich die Sache mit dem Feuerzeug machen, und dann hat er die Ruhe weg und lässt mich das Ding noch ne Weile halten. Bis ich mich dämlich damit fühle.
Kann mir gut vorstellen, das auch Daniel diese Form von Kevins Umgang kennt und deswegen bei seiner Perle abtaucht. Aber wie gesagt, is ne Kleinigkeit, und man will sich ja nicht wegen jedem Scheiß aufregen. Trotzdem bleibt es im Kopf.
Ich schau auf das Handy. Keine Meldung von Daniel. Würde ich auch nich erwarten.
»Du kennst den Weg in das Kaff?«
»Ja klar, hab ihn da schon mal raus geholt. … kleines Ding. Führt nur eine Straße gefühlt rein, also kann mans nich verkacken.«
Wir fahren an Maisfeldern vorbei. Die Landwirtschaft ist mir persönlich ein Rätsel. Übervoll mit Raps und Mais. Kilometerweit. Aber die wissen schon was sie tun, denke ich mal.
Der Wagen fährt schnurstracks geradeaus, nur hin und wieder eine kleine Bodenwelle, die nach einer Zeit der Gewöhnung genauso zur Monotonie der Autofahrt gehört. Kevin schmeißt Pink Floyd an.
»Richtige Autobahnmukke«, sagt er mit einem zynischen Blick zu mir, den ich nur im Augenwinkel mitbekomme.
Er hat Recht.
Während die Synthesizer die Luft im Auto hin und her zerren, driftet mir der Kopf davon.
Am Rückspiegel hängt ein längst nicht mehr funktionierender Duftbaum, der die Form eines Kaktus hat. Ich denke daran, wie ich einmal zu einer Frau nach Hause mit durfte – ich saß dann also bei ihr in der Küche und auf dem Tisch stand ein Glaswürfel, der mit einer Kaktee befüllt war.
Ab diesem Moment war es nicht so einfach mit der Frau zu reden. Ständig fiel mein Blick auf das Messinggestell, dass das Glas einfasste. Ständig dachte ich darüber nach, wie ich rausfinden könnte, ob sie Teil dieser Leute war, die die Natur als etwas wahrnahmen, das es zu sortieren galt.
Diese Leute haben eine Angst vor der Natur, nehme ich an.
Und haben dann eine Kaktee in der Küche stehen.
Und während wir weiter über Bodenwellen fahren, denke ich an Bonsai- Gewächse. Topfpflanzen und Plastikblumen.
»Das Täubchen«
In einem dieser Häuser vor uns ist Daniel.
Sobald man die Zivilisation verlässt, verlieren Bauleute wohl das Gespür für jegliche Richtung. So auch hier: Kleines Kaff, alle Häuser nach sonst wo ausgerichtet.
»So als würden die einfach noch n wenig Platz finden: also n Parkplatz!«, Kevin ist natürlich nicht begeistert. Wenn ich ehrlich bin, bin ich es auch nicht. Auf einen Blick sieht man mehr Zäune als Leute.
Alles um uns rum sieht verschlossen aus. Kein Licht hinter den Fenstern, überall Vorhang. Alle Menschen hier sind mehr in diese Häuser verloren gegangen, als eingezogen. Vielleicht ist das aber auch das Selbe. Ich kann mir ja nicht mal vorstellen je länger als ein Jahr in einer Wohnung zu wohnen.
»Und diese verdammten Riesentrampoline!«, Kevin stellt den Wagen quer über zwei Parknischen.
Der Wald, der das Kaff umgibt, beginnt erst einen Kilometer hinter der Dorfgrenze. Großzügig Platz gemacht haben die schon – und dann haben sie den eben nicht gebraucht.
»Das da hinten ist es!« Kevin zeigt auf ein etwas eingewuchertes Haus. Er stützt sich auf das Autodach und raucht weiter. Eilig haben wir es nicht. Ich habe keine Ahnung, wie Daniels Freundin mit Nachnamen heißt, also bleibe ich am Wagen. Sehe zu, wie Kevin in aller Ruhe macht, was er will.
Kathleen kommt uns entgegen. Sie hat nicht mal eine Klingel für ihre Wohnung. Sie wohnt im Souterrain, betreten kann man ihre Höhle durch eine Glastür, die in jedem anderen Haus auf eine Terrasse führen würde. Hier allerdings läuft man eine Fließen-Treppe runter und versucht dabei nicht auszurutschen. Sie ist freundlich. Fast zu freudig, um es ihr abzukaufen. Stürmisch begrüßt sie Kevin und lächelt auch mich an.
Wir spazieren zwischen nem Haufen Pfandflascheninseln auf ein Sofa zu. Auch das ist auf gar nichts ausgerichtet. Nur ein kleiner Tisch davor. Man kann das Versacken sehen. Tabakbrösel und Tassen, mal mit Kaffeesatz, mal mit getrockneten Teebeuteln. Der Fernseher wurde auf den Boden gestellt und weist zum unordentlichen Bett. Ist alles klar soweit. Nur wo sich Daniel rumtreibt, bleib offen.
Kathleen probierts mit Smalltalk.
»Wie war die Fahrt?«, wir nehmen einen Kaffee und Kevin raucht und ascht daneben. Ist ihm scheißegal.
»Wo ist Daniel?«, fragt er.
»Irgendwo … er geht ganz gerne spazieren«
Sie sieht auf das Chaos, man kann sehen, wie sie sich anfängt zu schämen.
»Und ihr wollt ihn abholen?«
»Ja«, entgegnet Kevin knapp.
Die Kaffeetassen dampfen vor uns, keiner hat sie bisher angerührt. Man kann praktisch den Knoten, der sich in Kathleen zusammenzieht, spüren. Sie zündet sich auch eine Zigarette an. »Der Ring ist schön!« Kevin sieht an seinen Finger, auf den sie deutet. Er ist ruhiger als im Wagen. Ich fühl mich unwohl neben den beiden. Weis auch gar nicht, warum ich eigentlich mitkommen sollte. Wohl nur wegen der Stille, die sonst im Auto geherrscht hätte.
Kevin lächelt Kathleen an.
»Wer spielt Wen?«
Als Daniel dann endlich kommt, sind Kevin und Kathleen in der Küche. Ihr Gespräch hat Fahrt aufgenommen, aber immer wenn ich dazukomme, wird’s leiser. Also hab ich mich drauf beschränkt, mehr Kaffee zu holen und die Biege zu machen, bevor es unangenehm wird.
Daniel steht da unter der niedrigen Decke und sieht zu mir zum Sofa rüber.
»Machen wir nen Sittich?«, fragt er mich, als er die Situation überblickt hat.
»Warst du nich schon unterwegs?«
»Ein wenig … Aber das macht ja nichts.«
Klar könnten wir rausgehen, obwohl ich nicht weis, was es da groß zu machen oder zu sehen gäbe. »Bäume … hauptsächlich Bäume«, erwidert Daniel.
Kathleen und Kevin kommen zurück in das Zimmer. Sie trägt seinen Ring. »Elsterst du wieder?«, erkundigt sich Daniel mit Blick auf den Schmuck. »Ich wollte ihn nur mal anprobieren.«
Argwöhnisch begutachtet er ihre Hand.
»Und? … Bist du fertig?« Sie schweigt. Versucht nicht mal, die Situation zu überspielen. Wartet wahrscheinlich einfach drauf, dass es irgendwie weiter geht und sie dazu nichts mehr sagen muss. Daniel ist hartnäckig bis zu dem Moment, an dem Kathleen die Hand mit dem Ring beiläufig in ihren Rücken nimmt.
Ich hab die Beziehung von den Beiden nie richtig verstanden, Daniel kommt hin und wieder hier her, der Ordnung oder Atmosphäre wegen kanns nicht sein, und auch mit Kathleen scheint er nicht sonderlich zufrieden zu sein. Zumal der Weg hier her ewig dauert, wärs, zumindest für mich, zu viel Aufwand.
Andererseits sieht Kathleen sehr interessant aus. Und wenn man sich mal für Schönheit abseits der Norm begeistert, kann man nicht zu den gewöhnlichen Schönheitsidealen zurück.
Kathleen ist keine dieser Idealbild-Frauen, sie hat hier und da Asymmetrien, doch jede davon benutzt sie als persönliches Merkmal. Ihren Überbiss, den zwar viele haben, verkörpert sie wie keine Anderere; Sie macht es zum Teil von sich. Viele sehen meiner Meinung nach einfach dämlich aus im Profil. Und das beschreibt irgendwie auch Schönheitsnormen: Nette frontal Perspektive! Kathleen nicht. Von der Seite kann man genauso ‘Sie’ sehen.
Also eigentlich könnt es wegen der Perle sein, aber irgendwie läuft die Beziehung, oder was auch immer die beiden hier so führen, nicht so richtig. »Also gehen wir?« Ich hab wohl n wenig gestarrt während meiner Gedanken.
Kathleen und Kevin kriegen wir jetzt nicht mehr abgeschüttelt, obwohl es Daniel, glaube ich, auch ganz recht gewesen wäre.
»Über Wiesen«
Die Linienführung auf dem Dorf ist etwas anders. Während in der Stadt Fluchtpunkte und gerade Linien den Raum begrenzen, wirkt hier alles gestrichelt. Die Hügel und Berge wirken aufgeschichtet oder als würde am Horizont immer etwas absacken. Keine Ahnung wie Daniel den Kram länger als ne Woche aushält.
»Und dich hat Kevin einfach mitgenommen?«
»Ja … einfach so … ich weiß eigentlich auch nicht genau, warum«
»Kommt nicht auf Ruhe klar, oder?«
»Ja … kann sein.«
Wir laufen still ne Weile nebeneinander. Ich werd dabei n wenig unruhig.
»Wie packst dus hier? … Ich mein, hier ist gar nichts!«
»Ich denke mir gefällts, wenn die Leute nen Lachs machen. … Hier macht eben jeder seinen Scheiß.« Dabei hat er natürlich Recht. In der Stadt würden so Leute wie Kevin und ich viel häufiger spontan aufschlagen.
»Außerdem is hier ja Kathleen. … Obwohl die mir auch teilweise auf den Sack geht. … Guck dir das an!«, er nickt zu Kevin und Kathleen rüber, die im Gespräch sind. Kathleen macht den Eindruck, als wäre Kevin der seit langem wiedergesehene Freund.
»Wirft sich praktisch an seinen Hals. … Naja, soll sie machen.«, die Coolness nehme ich Daniel nicht ab.
Wir stehen auf einem Weg Richtung Baumgrenze, es wird immer dunkler. Eigentlich ist klar, dass man hier in ner halben Stunde gar nichts mehr sehen kann. Daniel raucht wie verrückt. Ich schnappe Gesprächsfetzen von Kevin und Kathleen auf. Dinge wie: »Ich denke nicht, dass man mit Männern befreundet sein kann.« So was haut Kevin einfach raus.
Ich versteh das verfickte Problem von dem Typen wirklich nicht. Ich versteh Daniel, der sich jetzt wahrscheinlich fragt, wieso Kevin hier antanzt und dann einen auf ‘ich-reflektiere-mein-Leben’ macht.
Wir laufen einen der beiden Hügel rauf. Oben steht ein silberner Wagen. Daniel öffnet eine Bierdose, nimmt einen Schluck und stellt sie auf das Autodach.
»Gib mal Feuer!«
Stirnrunzelnd blickt er über die Landschaft, dreht das Feuer in seinen Fingern, zieht dann eine Packung Grillanzünder aus der Jackentasche.
Die weißen Würfel lässt er über seine Hand purzeln.
»Teddybär«
Die lange Flamme züngelt vom Autoreifen aus über den Lack sodass der Blasen wirft. Ich seh mir das einfach so an. Auch Daniel hat die Ruhe weg. Steht da, Hände in der Tasche und wir schauen beide runter auf das Feuer, wie damals, als man noch Kind war und auf den Stockbrotteig gewartet hat.
»Was macht ihr?«, auf einmal schiebt Kevin nen Dicken. Kathleen gesellt sich zu Daniel. Die Entfernung zwischen den Beiden ist schwer zu übersehen. Das lässt sich auch nicht überwinden indem man sich mit dem Arm einhakt, denke ich mir. Daniel ist schon ganz woanders.
Ich kann nicht anders, als an meine erste Freundin zu denken. Damals, ich muss so 16 gewesen sein, habe ich sie zum ersten mal daheim besucht. Unser Rummachen und Versprechen-geben hatte bisher nur im Freien stattgefunden, es war immer irgendwie was heimliches dabei.
Als ich dann zu ihr ins Zimmer kam, gab es diesen Moment; ich war in eine Art geheiligten Ort eingetreten. Es hatte auch eine ganze Weile gedauert, bis wir soweit waren, dass sie mich mal mitgenommen hatte.
Da stand ich also, hatte ewig drauf hingearbeitet, schon fast gar nicht mehr damit gerechnet, hatte angenommen, ihr wäre irgendwas peinlich und dass man so eine Situation nicht schaukeln könnte. Dann steht man entgegen aller Erwartung doch da wo man hinwill und blickt in die Knopfaugen eines Kuscheltiers. Hat mir nicht gefallen, der Anblick. Ich hatte mich nur gefragt, warum?
Nicht so, dass es nur ein Teddy war. Nein. Die Wand entlang, fein säuberlich auf dem Bett aufgereiht, saßen fünfzehn bis zwanzig von diesen Stoffdingern.
Sie hat mich angesehen. Ich hab viel zu lange hingestarrt, sodass sie schon Zeit genug hatte, sich eine Abwehrstrategie einfallen zu lassen. Aber wie will man so was verteidigen?
»Was hast du?«
»Ich verlier’ mich gerade in diesen Augen. … furchtbar!«
»Was?«, das allein gibt einem eigentlich genug Warnsignale.
Ich hätte ja gern mit ihr da gesessen und ihr erklärt, wie ich solche Orte finde, von denen man sofort weiß, dass sie zum Kuscheln gebraucht werden. Und ich hätte sie gern gefragt, wie sie sich vorstellt, wie ich das aufnehme. Ich mein, ich habe keinerlei Bezug zu irgendeinem dieser Kuscheltiere. Fände ne emotionale Bindung zu nem ausgestopften, in Form gebrachten Kissen auch merkwürdig. Und Leute, die eine haben, erst recht. Alles was ich sehe sind Tiere, und die Arbeit, die es wahrscheinlich gebraucht hat, diese alle so anzuordnen, das ich sie gut sehen kann, sobald ich hier mit Sex-Absicht rein spaziere.
»Ich versteh das nicht«, hab ich angedeutet und wir haben versucht es zu ignorieren. Wir hatten dann auch Sex. Und ich, sobald ich mich irgendwie im Bett orientieren wollte, diese Dinger in der Fresse. Und den Gedanken im Kopf, dass ich es gerade nicht mit einer Frau, sondern einem Mädchen treibe.
»Ehy, ich hab mir das alles anders vorgestellt«, Kevin steht neben mir. Er streicht mit seiner Hand über meinen Rücken und legt seinen Kopf auf meine Schulter. Und einfach so, greift er nach meinem Gesicht und küsst mich.
– 15 Minuten und der ganze Wagen liegt dampfend da. Auf verkohltem Rasen, in einem Dorf, von dem ich den Namen nicht kenne, und ich sehe Kevin in die Augen. Das Leuchten in ihnen verschwindet.